Mit sicherem Abstand zu einem kleinen Eisberg im Kongsfjord
verlässt das Greenpeace Schiff "Esperanza" den Pier der arktischen
Forschungsstation Ny Alesund. An Bord befinden sich neben der Crew
Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften der
Universität Kiel und einige wissenschaftliche Apparaturen.
Da kein Forschungsschiff für den nötigen Zeitraum zur Verfügung
stand, hatte die Umweltschutzorganisation Greenpeace angeboten, die
umfangreiche Ausrüstung für dieses Experiment von Kiel in die Arktis zu
transportieren.
Die Arktis - noch viel zu wenig erforscht
Es gibt eine klare Arbeitsteilung. Die Wissenschaftler sind für die
Experimente zuständig, Greenpeace liefert logistische Unterstützung beim
Transport. "Der Bereich der Arktis wurde im letzten Sachstandsbericht
des Weltklimarats noch nicht ausreichend dargestellt, da wesentliche
wissenschaftliche Ergebnisse noch fehlen", erklärt Martin Kaiser die
Motivation der Umweltschützer. Deswegen habe sich das Greenpeace-Team
entschlossen, die Meeresforscher des Europäischen Projekts zur
Untersuchung der Ozeanversauerung (EPOCA) durch den Einsatz der
"Esperanza" aktiv zu unterstützen.
Die Forscher des Leibniz-Instituts wollen in diesem arktischen Fjord
die Auswirkungen der Ozeanversauerung auf das marine Ökosystem
untersuchen. "Der Ozean nimmt ein Großteil des Kohlendioxids auf, das
wir Menschen frei setzen", erklärt Projektleiter Ulf Riebesell.
"Ungefähr ein Drittel des menschgemachten CO2 geht direkt in den Ozean."
Das vermindere zwar den Treibhauseffekt, sagt der
Meereswissenschaftler, schade aber manchen Organismen im Meer. Denn das
Kohlendioxid reagiert mit dem Meerwasser und bildet Säure. Und das macht
den Ozean allmählich saurer.
Bildunterschrift: So sehen die Mesokosmen -
die "überdimensionierten Reagenzgläser" aus
Der Ozean im überdimensionerten Reagenzglas
An Deck des Schiffes befinden sich große Apparaturen, die wie riesige
Reagenzgläser aussehen. "Diese Mesokosmen sind etwa acht ein halb Meter
hoch und sollen, im Wasser treibend, eine Wassersäule von 17 Meter
Länge ausschneiden", erläutert Riebesell.
In jeden der insgesamt neun Mesokosmen wird anschließend eine
unterschiedliche Menge CO2 eingeleitet, um Bedingungen zu simulieren,
die in den nächsten Jahrzehnten vermutlich herrschen werden, je nachdem,
wie viel CO2 in Zukunft ausgestoßen wird. Ein internationales Team von
35 Wissenschaftlern soll täglich Proben entnehmen und untersuchen, wie
sich eine Versauerung auf die Lebewesen im Ozean auswirkt.
In vielen Labors der Welt wurden in den vergangenen 15 Jahren
Experimente zur Ozeanversauerung durchgeführt. Das Neue bei diesem
Experiment ist, dass zum ersten Mal in der freien Natur ganze
ökologische Gemeinschaften untersucht werden. Dass das Ganze in der
schwer zugänglichen Arktis stattfindet, hat besondere Gründe, erklärt
Jean-Pierre Gattuso von der Universität Paris, der für die
internationale Koordination des Europäischen Projekts zur
Ozeanversauerung zuständig ist. "Gase - also auch CO2 - lösen sich
wesentlich besser in kaltem als in warmem Wasser." Deshalb seien die
Arktis und der südliche Ozean bereits relativ sauer, im Vergleich zu den
Tropen und den gemäßigten Regionen.
In Ökosystemen hängt alles miteinander zusammen
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes
mit der Bildunterschrift: Projektleiter
Ulf Riebsell im Schlauchboot von GreenpeaceObwohl es bei
diesem Experiment um Kleinstlebewesen, also um Plankton, Algen, Krebse
oder Schnecken in der Arktis geht, seien die Ergebnisse von globaler
Bedeutung, versichert Gattuso.
"Wir müssen verstehen, dass alles miteinander zusammenhängt. Wenn die
Produktivität des Meereswassers aufgrund der Erwärmung oder der
Versauerung abnimmt, dann hat das für die Vögel Konsequenzen, denn viele
Vögel fressen Meeresorganismen. Es wird Auswirkungen auf Eisbären,
Seehunde, ja das ganze Ökosystem haben."
Auch Korallenriffe, die sowohl aufgrund ihrer Artenvielfalt als auch
wegen ihrer Schutzfunktion der Küsten von großer Bedeutung sind, seien
durch die Ozeanversauerung gefährdet, fügt Ulf Riebesell hinzu. "Auch
ihre Skelettbildung beruht darauf, dass viel Kalziumkarbonat im Wasser
gelöst ist. Mit der Ozeanversauerung wird das allmählich weniger."
Greenpeace und Forscher - Zusammenarbeit möglich?
Im Fjord, wo das Team ankert, hebt ein Kran den ersten Mesokosmos
über die Reling und lässt ihn ins Wasser. Ulf Riebesell ist mit dem
bisherigen Verlauf der Kooperation seines Instituts mit Greenpeace
zufrieden. Ganz selbstverständlich sei es natürlich nicht, dass
Wissenschaftler und die Europäische Union, die das Großprojekt
finanziert, die Hilfe der Umweltgruppe in Anspruch nähme. Es habe im
Vorfeld viele Diskussionen gegeben, sagt der Meeresforscher. "Als
Wissenschaftler ist es für uns absolut entscheidend, dass wir unabhängig
sind, dass wir uns weder in die eine noch in die andere Richtung
beeinflussen oder vereinnahmen lassen," erklärt er. Greenpeace
Klimaexperte Martin Kaiser hatte die Zurückhaltung vieler
Wissenschaftler im Anfangsstadium des Projekts zu spüren bekommen. "Aber
je länger die Zusammenarbeit läuft, desto stärker haben wir den
Eindruck, dass auch die Skepsis weicht und immer mehr Wissenschaftler es
schätzen, dass wir mit unserem Schiff ein Experiment ermöglichen, das
andernfalls nicht stattgefunden hätte."
Autorin: Irene Quaile-Kersken
Redaktion: Judith Hartl
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5756011,00.html