"Viele Verbote machen medizinisch keinen Sinn"
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Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Untersuchungen an künstlich
befruchteten Embryos sind nicht verboten. Gynäkologe Heribert Kentenich
begrüßt das Urteil, fordert aber ein neues Gesetz für die
Reproduktionsmedizin.
DW-WORLD.DE: Herr Kentenich, der
Bundesgerichtshof hat vor kurzem entschieden, dass
Präimplantationsdiagnostik in Deutschland nicht verboten ist. Man darf
also Embryos, die durch eine künstliche Befruchtung entstanden sind, auf
genetische Krankheiten hin untersuchen, bevor man sie der Mutter
einpflanzt. Mit welchen Auswirkungen auf den klinischen Alltag rechnen
Sie?
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Heribert Kentenich, Chefarzt der DRK-Kliniken in Berlin
Eingestellt Juli 2010
Prof. Heribert Kentenich: Wenn die Präimplantationsdiagnostik
in Deutschland Alltag werden sollte, rechnen wir mit ungefähr 200
Fällen, die immer an eine künstliche Befruchtung gebunden sein würden.
Der zeitliche Ablauf wäre folgendermaßen: Angenommen, wir würden heute
eine künstliche Befruchtung beginnen, also die Eizellen entnehmen und
mit den Samenzellen zusammenbringen, dann hätten wir morgen eine
Befruchtung und übermorgen einen Embryo. Danach würden wir
wahrscheinlich weitere zwei bis drei Tage vergehen lassen, in denen sich
der Embryo zum Vielzell-Embryo weiterentwickelt hätte. Dann würden wir
einen Teil der Zellen entnehmen. Über Nacht könnten diese Zellen dann
auf die genetische Krankheit untersucht werden, die man finden, bzw.
ausschließen möchte. Wenn das beispielsweise Mukoviszidose wäre, dann
würde man die Embryonen innerhalb von 24 Stunden untersuchen.
Etwa 24 weitere Stunden später hätte man das Ergebnis und könnte
sagen: 'Dieser Embryo ist gesund und dieser Embryo ist von der Krankheit
betroffen.' Wenn man das weiß, würde man die gesunden Embryonen – das
sind in der Regel einer oder zwei – in die Gebärmutter der Frau
zurückgeben. Insgesamt braucht man also vier bis fünf Tage vom Beginn
der künstlichen Befruchtung an.
Wie ist die Erfolgsquote bei künstlichen Befruchtungen?
Die Erfolgsquote ist vom Alter abhängig. Wenn man bei der künstlichen
Befruchtung von Erfolg spricht, dann kann man einmal sagen, dass man in
Deutschland bei etwa 30 Prozent der Schwangerschaften einen
Embryotransfer hinbekommt, also ein Embryo in die Gebärmutter der Frau
eingepflanzt wird. Die Geburtenrate ist etwas niedriger und liegt bei
etwa 20 Prozent pro Versuch. Wenn wir Paare aufklären, sagen wir ihnen
immer, dass es wahrscheinlich zwei bis drei Versuche braucht, bis es zur
Geburt kommt. Die Besonderheit bei der Präimplantationsdiagnostik ist,
dass zusätzlich untersucht wird, ob der Embryo krank oder gesund ist.
Bildunterschrift: Nur bei 30 Prozent der künstlichen Befruchtungen kommt es zum Embryotransfer, die Geburtenrate ist noch niedriger
Das durften Sie bisher nicht machen. Wie bewerten Sie denn das Urteil des BGH?
In der Reproduktionsmedizin sind wir überwiegend der Auffassung, dass
es ein gutes Urteil ist. Es hat zwei Sachen klargestellt. Erstens: Es
ergibt einen Sinn, Untersuchungen auf bestimmte Krankheiten hin
durchzuführen. Und zweitens: Es wurde trotzdem nicht Tür und Tor
geöffnet für alles Mögliche, was man auch untersuchen kann. Das Urteil
stimmt ziemlich genau mit den Vorstellungen der Bundesärztekammer aus
dem Jahr 2000 überein, wo man gesagt hat, dass man jeden Einzelfall
untersuchen solle, wobei jeder Einzelfall aber auch bedeute, dass das
Paar, das zur Beratung kommt, ein bestimmtes Schicksal haben sollte,
unter dessen Voraussetzungen man die Präimplantationsdiagnostik dann
durchführt.
Wenn das Paar beispielsweise bereits ein Kind mit Mukoviszidose hat,
weil beide Eltern Träger des Gens der Mukoviszidose sind, aber kein
weiteres Kind mit Mukoviszidose haben möchte, dann steht das Paar vor
der Entscheidung entweder gar nicht schwanger zu werden oder schwanger
zu werden und nach einer Untersuchung einen Schwangerschaftsabbruch
vorzunehmen oder aber von vorne herein die Embryonen zu untersuchen.
Diese letzte Variante ist in meinen Augen die humanste, weil so ein
Schwangerschaftsabbruch vermieden wird. Das Kind wäre dann auch kein
Designerkind, sondern es wäre lediglich auf diese eine Krankheit hin
untersucht worden.
Sie sagen Designerkind. Das sind Kinder von Eltern, die sich zum
Beispiel eine bestimmte Haar- oder Augenfarbe wünschen. Wäre das denn
medizinisch möglich?
Nein, eigentlich nicht, denn wir wissen nicht über welche
Genabschnitte Augenfarbe oder Haarfarbe kodiert werden. Und man muss
auch in der öffentlichen Diskussion mal sagen, dass das Argument des
Designerbabys ein schlechtes Argument ist. Man geht da mit Urängsten der
Menschheit nicht verantwortungsvoll um, also, dass wir den Homunkulus (Anm. d. Red.: künstlich erzeugter Mensch, im Spätmittelalter meist als dämonischer Helfer bei magischen Praktiken dargestellt)
zeugen könnten. Das können wir weiterhin zweifellos nicht und das
wollen wir auch nicht. Und das ist auch nicht der Wunsch der Paare. Ich
habe noch keine Paare erlebt, die sagen: 'Wir wollen das oder das haben
bezüglich Größe oder Hautfarbe.'
Es gibt manchmal Paare, die sagen: 'Wir haben jetzt drei Jungs und
wir wollen ein Mädchen.' Das ist aber auch eine Situation, die in
Deutschland verboten ist und meines Erachtens auch verboten bleiben
sollte. Das sogenannte "social sexing" ist zum Teil im Ausland erlaubt,
aber es wird nur selten durchgeführt. Also, das ganze hat nichts mit
Designerbabies zu tun und kein Reproduktionsmediziner will irgendwie
eine offene Tür für Designerbabies.
Würden Sie sagen, das deutsche Gesetz ist jetzt, nach dem Urteil
des BGH, auf einem guten Stand, mit dem es den Patienten am besten
nutzt, oder müsste sich noch etwas ändern?
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: "Kein Reproduktionsmediziner möchte Designerkinder"
Das deutsche Embryonenschutzgesetz ist jetzt 20 Jahre alt und der
Bundesgerichtshof konnte nur einen solchen Urteilsspruch machen, weil er
sagte, dass das Verbot der Präimplantationsdiagnostik, von dem man
bisher ausgegangen ist, im Embryonenschutzgesetz nicht vorhanden ist.
Nun gibt es in der öffentlichen Diskussion zwei Meinungen. Die einen
sagen: 'Dann müssen wir das Gesetz machen und müssen es verschärfen,
denn Präimplantationsdiagnostik soll in Deutschland nicht durchgeführt
werden.' Das wäre sehr schlimm, wenn die Reproduktionsmedizin durch ein
neues Gesetz noch restriktiver gehandhabt würde. Der überwiegende Teil
der Reproduktionsmediziner und der betroffenen Paare sagt dagegen
eindeutig: 'Die Restriktionen in Deutschland sind zu scharf und es gibt
viele Einschränkungen, die unseres Erachtens keinen Sinn ergeben.'
Die Präimplantationsdiagnostik kann man durch ein neues Gesetz
positiv regeln, indem man sagt, es muss eine Einzelfallanalyse sein. Und
auch das Verbot der Eizellspende, das zum jetzigen Zeitpunkt in
Deutschland eindeutig im Gesetz drinsteht, ergibt medizinisch und
psychologisch und wahrscheinlich auch ethisch keinen Sinn. Es wäre
sinnvoll ein neues Gesetz zu machen und das alte Embryonenschutzgesetz
abzulösen mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz, das zeitgemäß sein
muss. Denn der Bundesgerichtshof hat gesagt: 'Dieses Gesetz ist 20 Jahre
alt und die wissenschaftliche Entwicklung ist ja in den 20 Jahren noch
weitergegangen.'
Gibt es ein Beispiel aus einem anderen Land, wo Sie sagen: 'Das wünsche ich mir auch für Deutschland'?
Ja, zweifellos. Wir schauen sehr gerne nach England. In England ist
auch nicht alles erlaubt, aber es gibt dort klare gesetzliche Vorgaben.
In England gibt es auch eine Landesbehörde, die regelt – nicht nur die
normalen Formen der künstlichen Befruchtung, sondern da wird auch nach
einer ausführlichen ethischen Debatte beschlossen: Dieses Verfahren
sollten wir erlauben und dieses Verfahren sollten wir nicht erlauben.
Das wird immer in einer sehr breiten Diskussion gemacht in England und
so kommt man zu einer Übereinkunft.
Das war in England auch mit der Grund dafür, dass die Engländer
wissenschaftlich sehr fortschrittlich waren, aber auch dafür, dass sie
nicht alles erlaubt oder alles verboten haben. In einigen Ländern
Europas - und da gehört auch Deutschland mit dazu - sind viele Sachen
verboten, ohne das dies medizinisch oder ethisch einen Sinn ergibt.
Das Gespräch führte Andreas Ziemons Redaktion: Judith Hartl
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5795498,00.html
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