Verjüngungscocktail für Zellen
Da embryonale Stammzellen umstritten sind, arbeiten Forscher daran,
Körperzellen so zu reprogrammieren, dass sie ähnliche
Alleskönner-Eigenschaften haben. Dabei erzielten Forscher aus Münster
jetzt einen weiteren Erfolg.
Unter Stammzellforschern gelten Zellen aus Embryonen nach wie vor
als Maß aller Dinge. In kürzester Zeit können sich die umstrittenen
Alleskönner in verschiedene Gewebe des menschlichen Körpers verwandeln.
Das macht sie in den Augen vieler Experten zum idealen Heilmittel für
unterschiedlichste Krankheiten von Parkinson bis Leberzirrhose. Vor ein
paar Jahren jedoch haben die Alleskönner Konkurrenz bekommen:
Reprogrammierte Körperzellen (IPS = induzierte pluripotente
Stammzellen). Sie sehen genauso aus wie embryonale Stammzellen und
besitzen auch viele ihrer Fähigkeiten. Da zu ihrer Herstellung keine
Embryonen verbraucht werden, gelten sie als ethisch unbedenklich.
Embryo-ähnliche Alleskönner
Der japanische Forscher Shin'ya Yamanaka schleuste 2006 erstmals
einige Gene in reife Hautzellen und machte aus ihnen embryo-ähnliche
Alleskönner. Später schafften es mehrere Forschergruppen mit
ausgewählten Eiweißstoffen auch ohne Gentechnik, reife Körperzellen aus
der Haut in IPS-Zellen zu verwandeln. In vielerlei Hinsicht erwiesen
sich die neuen Zellen als ebenbürtig mit embryonalen Stammzellen. Es war
gelungen, alte Zellen wieder jung zu machen. Die Arbeitsgruppe um Hans
Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster
lieferte von Anfang an wichtige Beiträge zu dieser Entwicklung.
Bildunterschrift: Shin'ya Yamanaka wird für
seine Entdeckung von vielen Experten für den Nobelpreis gehandelt
Aber es blieb ein Problem: Die Effizienz der Verjüngung in der
Kulturschale war äußerst gering. Nur eine von 10.000 Körperzellen wurde
tatsächlich zur Alleskönner-Zelle. Diese einzelnen Superzellen galt es
zu finden und zu reinigen. Die Umprogrammierung dauert mehrere Wochen
und ist eine knifflige Arbeit für Spezialisten. Bei einem
Abschluss-Symposium eines europäischen Forschungsprogramms (EStools) in
Lissabon wurde kürzlich konstatiert, dass die reprogrammierten Zellen
immer noch nicht konkurrenzfähig sind. Erst wenn die Methoden zu ihrer
Herstellung effizienter geworden seien, könnten sie tatsächlich die
embryonalen Stammzellen aus den Labors verdrängen.
Turbo-Cocktail für die Zellen
Der Ruf aus Lissabon wurde schnell erhöht. Schölers Mitarbeiter
Nishant Singhal präsentierte nun in der angesehenen Fachzeitschrift Cell
eine Lösung für dieses Problem. Er mischte einen weiteren Eiweißstoff
in den Verjüngungscocktail und konnte die Effizienz der Reprogrammierung
mehr als hundertfach steigern. Nishant Singhal und seine Kollegen
sprechen von einem "Turbolader" für Zellen, der im Rennen gegen die
embryonalen Stammzellen den entscheidenden Vorteil bringen könnte.
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes
mit der Bildunterschrift: Einer
der erfolgreichsten Stammzellforscher derzeit: Hans SchölerDer
Stoff wirkt auf epigenetischer Ebene. Das heißt: Er verändert den
räumlichen Aufbau der Erbmoleküle im Zellkern. Die Chromosomen verpacken
das Erbmolekül neu, und bestimmte Erbanlagen, die sonst versteckt und
abgeschirmt liegen, werden zugänglich für die Verjüngungsfaktoren. In
ersten Versuchen gelang es in Münster 4,5 Prozent aller Hautzellen in
embryo-ähnliche Alleskönner-Zellen zu verwandeln. Damit ist das
Zellen-Rennen um die Therapie der Zukunft wieder offen.
Der Entdecker der Reprogrammierung Shin'ya Yamanaka hat bereits
begonnen, in Kyoto eine Stammzellenbank aus IPS-Zellen anzulegen. Statt
aufwendig für jeden Patienten eine eigene Zellkultur anzulegen, will
Yamanaka einige hundert definierte Zell-Kulturen züchten und für
medizinische Anwendungen zur Verfügung stellen. Das reiche für 90
Prozent der japanischen Bevölkerung, gab er kürzlich bekannt. Wenn
Yamanaka den neuen "Turbolader" aus Münster einsetzen würde, könnte er
wesentlich schneller seine IPS-Bank aufbauen. Allerdings hat der
Beschleuniger bisher nur bei Mäusezellen funktioniert. Und dass
Mäusezellen sich in vielen Punkten grundlegend von Menschenzellen
unterscheiden, haben nicht zuletzt Forschungsergebnisse aus Münster in
den letzten Jahren mehrfach gezeigt. Der Weg bis aus Hoffnungen von
Wissenschaftlern neue Heilmethoden werden ist immer noch weit.
Autor: Michael Lange Redaktion: Judith Hartl
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5683010,00.html
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